Vom Needle Park zum Freizeitpark – Erinnerungen eines Zeitzeugen
- Thomas Steffen
- vor 2 Tagen
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Kürzlich wurde ich angefragt, vor zwei Gymnasialklassen über die Drogenpolitik der 1990er-Jahre zu sprechen – als Zeitzeuge.Ich musste schmunzeln: Zeitzeuge – ich?
Tatsächlich war ich in jener Zeit als junger Forscher am damaligen Institut für Suchtforschung in Zürich tätig, unter der Leitung von Prof. Ambros Uchtenhagen und Prof. Felix Gutzwiller. Es war eine aussergewöhnlich intensive und prägende Zeit. Die Schweiz kämpfte mit offenen Drogenszenen zum Beispiel in Zürich auf dem Platzspitz und beim Letten, mit der HIV-Epidemie und einer tief gespaltenen Gesellschaft. Die Hilflosigkeit gegenüber der Situation führte zu heftigen politischen und gesellschaftlichen Debatten.
Forschung und Wandel
Als Forschungsleiter durfte ich an der Begleitevaluation der heroingestützten Behandlung mitarbeiten – einem zentralen Baustein der damals neuen Vier-Säulen-Politik.Diese Kombination aus Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression markierte einen Paradigmenwechsel: weg von reiner Strafverfolgung hin zu einer evidenzbasierten, pragmatischen und humanen Drogenpolitik.
Dass dieses Konzept bis heute wirkt, erfüllt mich mit Dankbarkeit. Es zeigt, wie wichtig wissenschaftliche Grundlagen, Engagement und das Finden eines gesellschaftliches Konsens in der Gesundheitspolitik sein können.
Eine Szene, die man nicht vergisst
Neben der Forschung gab es auch viele eindrückliche Erlebnisse. Eines davon ist mir besonders geblieben: Eine amerikanische Delegation wollte sich Mitte der 1990er-Jahre selbst ein Bild vom berüchtigten Needle Park machen und sie konnten es kaum glauben, dass der Platzspitz – einst Symbol für Elend und Drogenabhängigkeit – inzwischen wieder zu einem ganz normalen Freizeitpark geworden. So standen wir schliesslich mit der Delegation und fünf Sicherheitsbeamten auf dem Platzspitz – und wir sahen Kinderwagen statt Spritzen.
Parallelen zur Gegenwart
Heute, mehr als dreissig Jahre später, zeigt sich: Abhängigkeit und der Umgang damit bleiben eine gesellschaftliche Daueraufgabe. Die Herausforderungen haben sich verändert – neue Substanzen, digitale Abhängigkeiten, soziale Isolation – doch die Grundfragen und -aufgaben sind ähnlich geblieben.
Ich freue mich darauf, morgen mit zwei Gymnasialklassen in diese spannende Zeit einzutauchen und über damalige Entscheidungen zu sprechen, die durchaus Parallelen zur heutigen Zeit haben. Denn jede Generation steht erneut vor der Frage, wie sie mit Abhängigkeit, gesellschaftlicher Verantwortung und Solidarität umgehen will.
📷 Bild: Vogler, Gertrud: Zürich/F 5107-Na-15-099-016, „Platzspitz mit Spritzenautomat“, Oktober 1991.Drogenkonsument wirft gebrauchte Spritze in einen „Spritzentausch“-Automaten; Zürich.© Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich
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