
Am 12. Juni 2024 fand in Bern die Tagung zu Gendermedizin statt. Zusammen mit Fachexpert:innen haben wir im Rahmen von Public Health Schweiz, über die sich gegenseitig beeinflussenden biologischen und soziokulturellen Aspekte im Kontext der Medizin diskutiert; biologische und genderspezifische Unterschiede ergründet und Massnahmen besprochen, um das Potenzial der Gendermedizin ausschöpfen zu können. Mehr dazu unter: Rückblick Tagung Gendermedizin - Public Health Schweiz . Untenstehend meine Begrüssungsansprache, welche ich als Präsident von Public Health Schweiz halten dürfte, rund um Gendermedizin und die Songkultur der letzten Jahre.
Sehr geehrte Damen und Herren,
herzlich willkommen zur heutigen Tagung „Gendermedizin und öffentliche Gesundheit“. Es ist mir eine große Freude, Sie alle hier begrüssen zu dürfen.
Vor mehr als zehn Jahren habe ich eine Vortragspräsentation zum Thema Gendermedizin erstellt. Leider muss ich feststellen, dass sich gefühlt kaum etwas verändert hat. Viele der damals angesprochenen Probleme bestehen weiterhin. Diese Veranstaltung soll daher dazu beitragen, die dringend notwendigen Veränderungen voranzutreiben.
Wenn wir uns die letzten Jahrzehnte anschauen, sehen wir, wie sich die Wahrnehmung von Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft stark verändert hat. Diese Veränderungen spiegeln sich auch in der Musik wider, die oft ein Spiegelbild gesellschaftlicher Entwicklungen ist. Lassen Sie mich Ihnen einige Beispiele geben:
In den 60er Jahren war der Song „Zwei kleine Italiener“ von Conny Froboess sehr beliebt. Dieser Song spiegelt das klassische Rollenverständnis jener Zeit wider, indem er von zwei italienischen Gastarbeitern erzählt, die ihre Heimat und ihre Frauen vermissen. Dieses Bild der Männer als Ernährer und der Frauen als Zurückbleibende ist typisch für die damalige Zeit.
In den 70er Jahren war der Song „Aber bitte mit Sahne“ von Udo Jürgens sehr beliebt. Mit der Zeile „Aber bitte mit Sahne“ wird das Bild von Frauen gezeichnet, die sich beim Kaffeeklatsch über ihre Diäten unterhalten und gleichzeitig Kalorienbomben geniessen, was ein klassisches und teilweise humorvolles Rollenverständnis jener Zeit widerspiegelt.
In den 80er Jahren hat Herbert Grönemeyer mit seinem Song „Männer“ die verschiedenen Facetten und Widersprüche der Männlichkeit humorvoll und kritisch beleuchtet. „Männer nehmen in den Arm, Männer geben Geborgenheit, Männer weinen heimlich“ zeigt auf, dass Männer ebenso Gefühle und Schwächen haben, auch wenn die Gesellschaft oft ein anderes Bild verlangt.
Weiter ging es in den 90er Jahren mit „Mädchen“ von Lucilectric, einem fröhlichen und selbstbewussten Song, der die Freude und Unabhängigkeit der Frauen feiert. „Weil ich ein Mädchen bin, weil ich ein Mädchen bin“ brach mit den traditionellen Rollenbildern und zeigte, dass Frauen ebenso ihren eigenen Weg gehen und sich selbst verwirklichen können.
Ein weiteres Beispiel ist der Song „I Will Dance (When I Walk Away)“ von Katzenjammer. Die norwegische Frauenband, die in den 2000er Jahren oft in Deutschland auftrat, thematisiert in diesem Song die Freiheit und das Selbstbewusstsein, sich von gesellschaftlichen Erwartungen zu lösen. „I will dance, I will dance, I will dance, I will dance when I walk away“ symbolisiert den Mut, die eigene Identität zu finden und zu leben.
Und schliesslich, ein moderner Titel: „Nemo“ von The Code, der gerade durch den ESC-Sieg sehr populär ist. In diesem Song geht es darum, sich selbst zu finden und die eigene Identität zu akzeptieren, unabhängig davon, was andere denken. „No matter what they say, we’ll find our way“ spricht auch viele nicht-binäre Menschen an, die oft gegen gesellschaftliche Normen kämpfen müssen.
Diese Lieder zeigen uns, dass sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Geschlecht und Identität in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat. Leider sieht es in der Medizin oft anders aus. Hier, in der Gendermedizin, müssen wir einen ähnlichen Wandel vollziehen wie in der Gesellschaft insgesamt.
Wir leben immer noch in einer Welt, in der oft „dreimal täglich eine Tablette“ für alle dasselbe bedeutet. Diese Einheitsmedizin wird den individuellen Unterschieden zwischen den Geschlechtern und den damit verbundenen medizinischen Bedürfnissen nicht gerecht.
Die Tagung legt den Fokus auf biologische sowie soziokulturelle Faktoren und möchte Defizite in der Gesundheitsdiagnostik, -versorgung sowie -prävention identifizieren. Themen wie die Anzahl Geschlechter, Intersexualität oder den Transgenderdiskurs sind zwar wichtig, würden aber den Rahmen dieser Konferenz sprengen.
Die biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind tiefgreifend und haben erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit. Krankheitssymptome, Krankheitsverläufe und die Wirkung von Medikamenten können sich stark unterscheiden. Doch trotz dieser bekannten Unterschiede werden geschlechtsspezifische Aspekte in der Medizin oft noch zu wenig beachtet. Dies führt zu Defiziten in der Diagnostik, Gesundheitsversorgung und Prävention.
Unsere heutige Tagung bietet die Gelegenheit, diese Themen zu vertiefen, Wissen auszutauschen und Wege zu finden, die Gendermedizin voranzubringen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass auch die medizinische Versorgung die Vielfalt der Geschlechter anerkennt und berücksichtigt. Denn nur so können wir eine gerechtere und effektivere Gesundheitsversorgung für alle erreichen.
Es ist meine Hoffnung, dass wir in zehn Jahren, wenn wir auf die Präsentationen dieser Tagung zurückblicken, feststellen können, dass sich viel verändert hat und wir deutliche Fortschritte gemacht haben.
Ich danke Ihnen allen für Ihre Teilnahme und Ihr Engagement. Lassen Sie uns diesen Tag nutzen, um wichtige Fortschritte für die Gendermedizin zu erzielen.
Vielen Dank und eine inspirierende Tagung!
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